Der Tempel zu Jerusalem by Christian Jacq

Der Tempel zu Jerusalem by Christian Jacq

Autor:Christian Jacq [Jacq, Christian]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-05-19T04:00:00+00:00


Kapitel 29

DER VOLLMOND ZUR Frühlings-Tagundnachtgleiche hatte wie in jedem Jahr das Passahfest eingeleitet. Mehr als hunderttausend Menschen aus den Provinzen hatten ihre Städte und Dörfer verlassen und sich nach Jerusalem begeben, um sich die Baustelle des berühmten Meister Hiram anzusehen. Die Pilger strömten durch Gassen und Gäßchen und warfen nur einen flüchtigen Blick auf die dicken Mauern und den alten Palast König Davids. Der Felsen, die neue Zufahrtsstraße, das Zeltlager und der Bauzaun, der die kundigen Handwerker von der Außenwelt abschirmte, erregten ihre Neugier.

Tausendundein Gerücht machte die Runde. Jeder wußte mehr als der Nachbar, kannte einen Teil von Hirams Geheimplan, beschrieb das zukünftige Gebäude und die Geheimriten, die im Inneren des Zauns gefeiert wurden. Kein Schaulustiger, der nicht wußte, was Salomo vorhatte, kein Spaziergänger, der nicht einen Schüler Meister Hirams kannte, der ihm die vielen Rätsel erklärt hatte. Darüber wurde vergessen, daß man mit Passah Moses’ Heldentat feierte, der sein Volk vor der Verfolgung gerettet und es aus Ägypten geführt hatte. Man dachte nicht mehr daran, daß der Racheengel allgegenwärtig war und die Gottlosen bedrohte. Setzte sich das ganze Land nicht mit einem noch unsichtbaren Tempel gleich, so schön und prächtig, wie ihn noch kein König ersonnen hatte?

Gebete stiegen zu Jahwe hoch. Lämmer wurden geschächtet, ihr Blut wurde auf Haustüren gespritzt, der Duft von brutzelndem Fleisch durchströmte die Hauptstadt. »Gelobt sei der Name des HERRN, denn Er ist sehr freundlich«, sangen die Gläubigen bei den Festmählern, »Ehre sei Dir und nicht uns!«

Königin Nagsara, die noch immer schwach war, hatte nur zu Beginn an den Zeremonien teilgenommen, die im weiteren Verlauf weit weniger ausgelassen waren.

In Windeseile hatte sich eine furchtbare Kunde verbreitet: Meister Hiram wollte Gottes Tempel nun doch nicht bauen. Und in der Tat saß Salomo beim Fest allein, wo doch jedermann den Baumeister an seiner Seite erwartet hätte. Man suchte Hiram überall, konnte ihn aber nirgends erblicken, denn die Baustelle war über Passah geschlossen. Arbeiter bestätigten, daß er sich nicht in der Zeichenwerkstatt versteckte.

Die strahlende Miene des Hohenpriesters, den der König gemäß der Sitte ehrte, bestätigte die schlimmsten Befürchtungen. Die kleinen Leute und der Adel wußten um den Haß, den Zadok gegen Meister Hiram hegte. Zweifellos hatte er seine Abreise erreicht. Und da Salomo sein Scheitern nicht eingestehen wollte, versteckte er es hinter Schweigen. Die Fronarbeiter würden einer nach dem anderen nach Hause geschickt werden, die Handwerker würden in ihre Provinzen zurückkehren, der Bauzaun würde in wenigen Monaten abgebaut sein oder an Ort und Stelle vermodern. Und der Felsen würde Jerusalem weiterhin mit seiner Kahlheit herausfordern.

Während die Becher der Zecher kreisten und von Hand zu Hand gingen, konnte es keinen Zweifel mehr geben: Meister Hiram hatte die Baustelle verlassen, war den Drohungen der Priester gewichen. Zweifellos war er nach Tyros zurückgekehrt.

Die Propheten, die vorhergesagt hatten, daß kein König die Stadt Davids verändern würde, hatten recht gehabt.

Die alte Ordnung triumphierte.

Hiram ging durch ein heranreifendes Feld. In der Nähe schwangen Bauern Sicheln, die mit ihren gezackten Klingen durch grünes Gras fuhren.

Anup sprang vor Hiram her und freute sich an der strahlenden Frühlingsluft.



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